Liebe E-Commerce-Community,
in der Online-Handelswelt gibt es derzeit ein faszinierendes Phänomen zu beobachten: Otto, einer der größten deutschen E-Commerce-Player, meldet beeindruckendes Wachstum – und kündigt gleichzeitig weitere Einschnitte an. Eine Strategie, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, bei näherer Betrachtung aber tiefe Einblicke in die aktuellen Herausforderungen und Lösungsansätze im Online-Handel bietet.
Die Erfolgszahlen sprechen für sich
Marc Opelt, Vorsitzender des Bereichsvorstands bei Otto, hatte bei einer jüngsten Pressekonferenz allen Grund zur Freude. Die präsentierten Geschäftszahlen für 2024/25 zeigen nach Jahren der Stagnation endlich wieder deutliches Wachstum:
- Das Bruttowarenvolumen (GMV) stieg um satte neun Prozent auf sieben Milliarden Euro
- Die aktive Kundenbasis wuchs um vier Prozent auf 12,2 Millionen
- Der Marktplatz umfasst mittlerweile 6.200 Partnershops
- Der Marktplatzanteil am Gesamtumsatz stieg auf 40 Prozent
Diese Zahlen sind besonders beachtlich, wenn man bedenkt, dass wir uns in einer Zeit wirtschaftlicher Unsicherheit bewegen. Während viele Online-Händler mit stagnierenden oder sogar rückläufigen Umsätzen kämpfen, scheint Otto eine erfolgreiche Wachstumsformel gefunden zu haben.
Die Kehrseite der Medaille: Callcenter-Schließungen und Entlassungen
Doch parallel zu dieser Erfolgsmeldung steht eine weniger erfreuliche Nachricht: Erst im Februar verkündete Otto die Schließung von acht Callcenter-Standorten in ganz Deutschland. Etwa 480 Angestellte verloren dadurch ihren Job. Das Unternehmen begründete diesen Schritt damit, dass der telefonische Kundendienst an Bedeutung verloren habe, und versicherte, Abfindungen und Wechselangebote anzubieten.
Diese Maßnahme wirft natürlich Fragen auf: Kommt das Wachstum auf Kosten der Mitarbeiter? Ist das der Preis, den man für Profitabilität im Online-Handel zahlen muss?
Ottos zukünftige Strategie: Weitere Kosteneinsparungen trotz Wachstum
Marc Opelt macht keinen Hehl daraus, dass der Sparkurs weitergehen wird. In seiner Erklärung betont er, dass trotz der positiven Zahlen der „gesamtkonjunkturelle Rückenwind weiter ausbleibt“. Seine Schlussfolgerung: „Daher ist es im Geschäftsjahr 2025/26 umso wichtiger, dass wir uns wirtschaftlich weiterhin konsequent profitabel aufstellen, Kosten einsparen und interne Prozesse weiter optimieren.“
Diese Aussage verdeutlicht das Spannungsfeld, in dem sich nicht nur Otto, sondern viele E-Commerce-Unternehmen heute bewegen: Einerseits muss man wachsen und investieren, andererseits gilt es, profitabel zu bleiben und sich gegen wirtschaftliche Unsicherheiten zu wappnen.
Was bedeutet das für den gesamten Online-Handel?
Als E-Commerce-Experte sehe ich in Ottos Strategie wichtige Lehren für die gesamte Branche:
1. Marktplatz-Strategie als Wachstumsmotor
Mit 40 Prozent Anteil am Gesamtumsatz hat sich Ottos Marktplatzgeschäft zu einem zentralen Erfolgsfaktor entwickelt. Die Integration von 6.200 Partnershops ermöglicht Sortimentserweiterung und Wachstum, ohne selbst das volle Risiko für Lagerung und Logistik tragen zu müssen – ein kluger Schachzug in unsicheren Zeiten.
Lerneffekt für Händler: Kooperationen und Plattformmodelle können eine effiziente Wachstumsstrategie sein, um das eigene Angebot zu erweitern, ohne das Risiko und die Kosten allein zu tragen.
2. Fokus auf Prozessoptimierung statt Personalausbau
Otto setzt offensichtlich stark auf die Optimierung interner Prozesse und Automatisierung, anstatt in den Ausbau personalintensiver Bereiche wie den telefonischen Kundendienst zu investieren.
Lerneffekt für Händler: Analysiert kritisch, welche Prozesse in eurem Unternehmen automatisiert oder optimiert werden können. Manchmal bedeutet das schmerzhafte Entscheidungen, aber die Effizienzgewinne können entscheidend für das langfristige Überleben sein.
3. Agile Anpassung an verändertes Kundenverhalten
Die Schließung der Callcenter reflektiert eine grundlegende Veränderung im Kundenverhalten. Offenbar nutzen deutlich weniger Kunden den telefonischen Support, während digitale Kontaktkanäle an Bedeutung gewinnen.
Lerneffekt für Händler: Beobachtet kontinuierlich, wie eure Kunden mit euch interagieren, und seid bereit, Ressourcen von abnehmenden Kontaktkanälen zu wachsenden zu verschieben. Datenbasierte Entscheidungen sind hier der Schlüssel.
4. Proaktives Kostenmanagement trotz Wachstum
Besonders bemerkenswert finde ich, dass Otto nicht erst spart, wenn es schlecht läuft, sondern präventiv handelt – selbst in einer Wachstumsphase.
Lerneffekt für Händler: Wartet nicht auf eine Krise, um eure Kostenstruktur zu optimieren. Nutzt Wachstumsphasen, um euer Unternehmen effizienter aufzustellen und Polster für schwierigere Zeiten zu schaffen.
Der schmale Grat zwischen Effizienz und Kundenerlebnis
Bei all dem Fokus auf Kostenoptimierung und Effizienz darf ein entscheidender Faktor nicht aus dem Blick geraten: das Kundenerlebnis. Hier liegt die eigentliche Herausforderung für Otto – und für jeden Online-Händler, der einem ähnlichen Pfad folgt.
Die entscheidende Frage wird sein: Gelingt es Otto, trotz der Reduzierung im Kundenservice, die Kundenzufriedenheit hochzuhalten? Die steigenden Kundenzahlen deuten darauf hin, dass sich die Maßnahmen bisher nicht negativ auswirken. Aber langfristig wird es darauf ankommen, die richtige Balance zu finden zwischen:
- Kosteneffizienz und Kundenzufriedenheit
- Automatisierung und menschlichem Touch
- Wachstum und nachhaltiger Profitabilität
Mein Fazit: Eine Gratwanderung, die beobachtet werden sollte
Ottos Strategie des „Wachstums durch Optimierung“ ist eine faszinierende Gratwanderung, die wir als Branche genau beobachten sollten. Sie zeigt exemplarisch die Herausforderungen, mit denen der gesamte Online-Handel konfrontiert ist: In einem zunehmend umkämpften Markt mit wirtschaftlichen Unsicherheiten gleichzeitig zu wachsen und profitabel zu bleiben.
Die bisherigen Zahlen geben Otto Recht – das Unternehmen scheint die richtige Balance gefunden zu haben. Ob diese Strategie langfristig aufgeht und ob andere Händler diesem Beispiel folgen sollten, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.
Was meint ihr? Ist Ottos Ansatz der richtige Weg, um im E-Commerce erfolgreich zu bleiben? Oder seht ihr Risiken, die ich übersehen habe? Teilt eure Gedanken in den Kommentaren – ich freue mich auf einen spannenden Austausch!

OTTO’s paradoxes Erfolgsrezept: Wachstum durch Einschnitte!
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